Einleitung aus der NIV Studienbibel | Zu Rut
Titel
Das Buch ist nach einer seiner Hauptfiguren benannt, einer jungen Frau aus Moab, der Urgroßmutter Davids und einer Vorfahrin Jesu (4:21-22; Mt 1:1,5). Das einzige andere biblische Buch, das den Namen einer Frau trägt, ist Esther.
Hintergrund
Die Geschichte spielt in der Zeit der Richter, einer Zeit, die im Buch der Richter als eine Periode religiöser und moralischer Entartung, nationaler Uneinigkeit und häufiger ausländischer Unterdrückung beschrieben wird. Das Buch Rut spiegelt eine Zeit des Friedens zwischen Israel und Moab wider (vgl. Jdg 3,12-30). Wie 1Sa 1-2 gibt es eine Reihe von intimen Einblicken in das Privatleben der Mitglieder einer israelitischen Familie. Es ist auch ein erfreulicher Bericht über den Rest wahren Glaubens und wahrer Frömmigkeit in der Zeit der Richter, der ein ansonsten völlig düsteres Bild dieser Ära auflockert.
Autor und Datum der Niederschrift
Der Autor ist unbekannt. Die jüdische Tradition weist auf Samuel hin, aber es ist unwahrscheinlich, dass er der Autor ist, denn die Erwähnung Davids (4:17,22) deutet auf ein späteres Datum hin. Außerdem deutet der literarische Stil des Hebräischen, der in Rut verwendet wird, darauf hin, dass es in der Zeit der Monarchie geschrieben wurde.
Thema und Theologie
Die Bedeutung der treuen Liebe in den zwischenmenschlichen Beziehungen des Volkes im Reich Gottes wird nachdrücklich unterstrichen. Der Autor konzentriert sich auf Ruts unerschütterliche und selbstlose Hingabe an die verlassene Naomi (1,16-17; 2,11-12; 3,10; 4,15) und auf Boas‘ Freundlichkeit gegenüber diesen beiden Witwen (Kap. 2-4). Er präsentiert eindrucksvolle Beispiele für ein Leben, das in seinem Alltag die selbstlose Liebe verkörpert, die das Gesetz Gottes erfüllt (Lev 19,18; vgl. Röm 13,10). Eine solche Liebe spiegelt auch die Liebe Gottes wider, und zwar in einer wunderbaren Verbindung von menschlichem und göttlichem Handeln (vgl. 2,12 und 3,9). In Gottes Wohlwollen wird ein solches Leben gesegnet und zum Segen gemacht.
Es mag überraschen, dass eine Moabiterin, die Gottes Liebe so deutlich widerspiegelt, eine Moabiterin ist (siehe Karte, S. 486). Doch ihre uneingeschränkte Treue zu der israelitischen Familie, in die sie durch Heirat aufgenommen wurde, und ihre völlige Hingabe an ihre verlassene Schwiegermutter kennzeichnen sie als eine wahre Tochter Israels und eine würdige Vorfahrin Davids. Sie veranschaulicht eindrucksvoll die Wahrheit, dass die Teilnahme am kommenden Reich Gottes nicht durch Blut und Geburt entschieden wird, sondern durch die Übereinstimmung des eigenen Lebens mit dem Willen Gottes durch den „Gehorsam, der aus dem Glauben kommt“ (Röm 1,5). Ihre Stellung im Stammbaum Davids bedeutet, dass alle Völker im Reich des größeren Sohnes Davids vertreten sein werden.
Als Episode im Stammbaum Davids wirft das Buch Rut ein Licht auf seine Rolle in der Erlösungsgeschichte. Erlösung ist ein Schlüsselbegriff in der gesamten Erzählung; das hebräische Wort kommt in seinen verschiedenen Formen 23 Mal vor. Das Buch ist in erster Linie eine Geschichte von Naomis Wandlung von der Verzweiflung zum Glück durch die selbstlosen, von Gott gesegneten Taten von Rut und Boas. Sie gelangt von der Leere zur Fülle (1,21; 3,17; siehe Anmerkungen zu 1,1.3.5-6.12.21-22; 3,17; 4,15), von der Not (1,1-5) zu Sicherheit und Hoffnung (4,13-17). In ähnlicher Weise wurde Israel durch die selbstlose Hingabe von David, einem echten Nachkommen von Rut und Boas, von der nationalen Verzweiflung beim Tod von Eli (1Sa 4,18) zu Frieden und Wohlstand in den ersten Tagen Salomos (1Ki 4,20-34; 5,4) geführt. Der Autor erinnerte Israel also daran, dass die Herrschaft des Hauses David als Mittel der gütigen Herrschaft Gottes in Israel die Aussicht auf den von Gott verheißenen Frieden und die Ruhe in sich barg. Aber diese Ruhe würde nur so lange anhalten, wie diejenigen, die am Königreich teilhatten – sowohl der Fürst als auch das Volk – in ihrem täglichen Leben die selbstlose Liebe widerspiegelten, die Rut und Boas vorlebten. In Jesus, dem großen „Sohn Davids“ (Mt 1,1), und seinem Erlösungswerk finden die verheißenen Segnungen des Reiches Gottes ihre Erfüllung.
Literarische Merkmale
Das Buch Rut ist eine hebräische Kurzgeschichte, die mit vollendetem Können erzählt wird. Unter den historischen Erzählungen der Heiligen Schrift ist es unübertroffen in seiner Kompaktheit, Lebendigkeit, Wärme, Schönheit und dramatischen Wirksamkeit – ein exquisit gearbeitetes Juwel hebräischer Erzählkunst.
Durchgehend wunderbar symmetrisch (siehe Gliederung), bewegt sich die Handlung von einem kurz skizzierten Bericht über die Not (1,1-5; 71 Wörter auf Hebräisch) über vier Episoden zu einem abschließenden Bericht über Erleichterung und Hoffnung, der in gleicher Kürze gezeichnet ist (4,13-17; 71 Wörter auf Hebräisch). Der entscheidende Wendepunkt liegt genau in der Mitte (siehe Anmerkung zu 2,20). Die Anfangszeile jeder der vier Episoden signalisiert die Hauptentwicklung (1,6, die Rückkehr; 2,1, die Begegnung mit Boas; 3,1, die Suche nach einem Haus für Rut; 4,1, das entscheidende Ereignis am Tor), während die Schlusszeile jeder Episode den Übergang zum Folgenden erleichtert (siehe Anmerkungen zu 1,22; 2,23; 3,18; 4,12). Auch Kontraste werden wirkungsvoll eingesetzt: angenehm (die Bedeutung von „Naomi“) und bitter (1,20), voll und leer (1,21), die Lebenden und die Toten (2,20). Am auffälligsten ist der Kontrast zwischen den beiden Hauptfiguren, Rut und Boas: Die eine ist eine junge, fremde, mittellose Witwe, während der andere ein wohlhabender Israelit mittleren Alters ist, der fest in seiner Heimatgemeinde verankert ist. Für jeden von ihnen gibt es eine entsprechende Figur, deren Handlungen im Gegensatz dazu sein oder ihr selbstloses Handeln hervorheben: Rut-Orpa, Boas, der namenlose Verwandte.
Wenn die Bewegungen in Raum, Zeit und Umständen alle in gewisser Weise übereinstimmen, ergibt sich eine Harmonie, die sowohl den künstlerischen Sinn des Lesers befriedigt als auch hilft, Türen zum Verständnis zu öffnen. Der Autor des Buches Rut bewahrt seine Leser davor, von der zentralen Geschichte abgelenkt zu werden – dem Übergang von Naomi von der Leere zur Fülle durch das selbstlose Handeln von Rut und Boas (siehe Thema und Theologie). Dieser Übergang bzw. die Wiederherstellung findet zunächst im Zusammenhang mit ihrer Rückkehr aus Moab in das verheißene Land und nach Bethlehem („Haus der Speise“; siehe Anmerkung zu 1,1) statt. Dann geht es weiter mit der Erntezeit, in der die Fülle des Landes eingesammelt wird. Alle Aspekte der Erzählung lenken die Aufmerksamkeit des Lesers auf das zentrale Thema. Die Berücksichtigung dieser und anderer literarischer Mittel (die in den Anmerkungen erwähnt werden) wird das Verständnis des Buches Rut erleichtern.