Während Sozialwissenschaftler Experimente durchführen können, um etwas über die Auswirkungen einer breiten Palette von Behandlungen zu erfahren, ist es unmöglich, politische Systeme nach dem Zufallsprinzip zu bestimmen. Dennoch ist das Verständnis der Auswirkungen von Kommunismus, Demokratie und Autokratie auf das Leben der Menschen von großer Bedeutung. Es überrascht nicht, dass es eine umfangreiche Literatur gibt, die erforscht, wie politische Systeme die Wirtschaft und die Präferenzen der Bevölkerung nachhaltig beeinflussen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den unterschiedlichen Hinterlassenschaften zwischen kapitalistischen und sozialistischen Gesellschaften liegt (für einen Überblick siehe Simpser et al. 2018).

Untersuchung persistenter Ost-West-Unterschiede nach der deutschen Teilung und Wiedervereinigung

Die deutsche Teilung und Wiedervereinigung hat das Interesse vieler Sozialwissenschaftler geweckt, da sie einem experimentellen Setting recht nahe kommt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zwei zuvor vereinte Teile desselben Landes zwei gegensätzlichen politischen Regimen zugewiesen, einem kapitalistischen Westen und einem kommunistischen Osten. Mit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurden die beiden Teile wieder demselben politischen System unterstellt.

Im Hinblick auf die gesamtwirtschaftlichen Ergebnisse gab es vor dem Zweiten Weltkrieg keine großen Unterschiede zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen in Ost- und Westdeutschland (siehe Alesina und Fuchs-Schündeln 2007). Als Ostdeutschland zusammenbrach, betrug das ostdeutsche Pro-Kopf-BIP jedoch weniger als die Hälfte des westdeutschen. Nach der Wiedervereinigung lag die Arbeitsproduktivität in Ostdeutschland bei einem Drittel des westlichen Niveaus, womit der Osten irgendwo zwischen Mexiko und Chile liegt. Das kommunistische System hatte mit wirtschaftlichem Versagen geendet.

Angesichts der deutlichen Unterschiede zwischen den politischen und wirtschaftlichen Systemen West- und Ostdeutschlands wird in einer umfangreichen Literatur argumentiert, dass die kommunistische Erfahrung dauerhafte Auswirkungen auf die Bevölkerung im Osten hatte, einschließlich ihrer wirtschaftlichen Ergebnisse, politischen Einstellungen, kulturellen Merkmale und Geschlechterrollen (z. B.z. B. Alesina und Fuchs-Schündeln 2007, Campa und Serafinelli 2019, Laudenbach et al. 2019, Goldfayn-Frank und Wohlfart 2020, Lippmann et al. 2020).

In einer aktuellen Arbeit (Becker et al, forthcoming) werfen wir einen neuen Blick auf den deutschen Fall. Waren sich Ost und West vor dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich ähnlich? Haben der Krieg und die anschließende Besatzung die beiden Teile des Landes in gleicher Weise beeinflusst? Wie sieht es mit der Migration zwischen Ost und West von 1945 bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 aus? Und was bedeutet all dies für unser Verständnis der Auswirkungen des Kommunismus?

Der Osten Deutschlands lässt sich schon erkennen, bevor er überhaupt existierte

Die Lage der Grenze zwischen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist nicht das zufällige Ergebnis dessen, wo amerikanische, britische und sowjetische Panzer am Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 anhielten. Stattdessen hatten sich die drei alliierten Mächte in Erwartung der Niederlage Nazideutschlands 1944 auf eine Aufteilung des Nachkriegsdeutschlands in eine sowjetische und eine westliche Besatzungszone geeinigt, die den Vorkriegsgrenzen der deutschen Reichsstaaten und der Provinzen des größten Staates, Preußen, folgten (mit einigen sehr kleinen Ausnahmen aufgrund geografischer Zusammenhänge). Infolgedessen trennte die Ost-West-Grenze die Bevölkerungen bereits bestehender Regionen mit unterschiedlicher Geschichte und Kultur.

Da die Grenze den bereits bestehenden Regionen folgte, können wir Daten auf Kreisebene aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg untersuchen, um festzustellen, ob sich West und Ost in relevanten Dimensionen unterschieden. Eine erste Dimension ist die Größe der Arbeiterklasse, die in den kommunistischen Ländern stark betont wird. Ein Blick auf die Daten aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zeigt, dass der Anteil der Arbeiterklasse in Ostdeutschland bereits 1925 wesentlich höher war (Abbildung 1), also lange bevor das Gebiet kommunistisch wurde. Der Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland beim Anteil der Arbeiterklasse beträgt 12 Prozentpunkte. Tatsächlich springt der Arbeiteranteil in mehreren Regionen rund um die spätere innerdeutsche Grenze recht abrupt an: Er ist signifikant nachweisbar, wenn man sich auf Kreise im Umkreis von 100 Kilometern um die spätere Grenze oder auf die Kreise konzentriert, die einen direkten Kontakt zur späteren Grenze haben.

Abbildung 1 Der Arbeiteranteil im Jahr 1925: Ost-West-Unterschiede vor Bestehen der DDR

Quelle: Becker et al. (Hrsg.), im Erscheinen.

Ost-West-Unterschiede vor dem Zweiten Weltkrieg sind auch in anderen Dimensionen auffällig. Abbildung 2 zeigt Vergleiche bei den wirtschaftlichen Ergebnissen, die für den Beginn des Kommunismus relevant waren. Unter anderem war der Anteil der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe im Osten signifikant höher, während der Anteil der Selbstständigen an der Bevölkerung im Osten signifikant niedriger war (Fritsch und Wyrwich 2014).

Abbildung 2 Ost-West-Unterschiede vor dem Zweiten Weltkrieg

Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Becker et al. (in Vorbereitung).

Interessanterweise unterschieden sich die politischen Präferenzen auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Der kommunistische Stimmenanteil im Osten war 1924 doppelt so hoch wie der im Westen. Betrachtet man linke Parteien im weiteren Sinne (insbesondere unter Hinzunahme der Sozialdemokraten), so lag der linke Stimmenanteil im Osten um 15 Prozentpunkte höher.

Der Kommunismus, so wird oft angenommen, habe die Religion verdrängt. Aber Ostdeutschland hatte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen geringeren Kirchenbesuch (in der evangelischen Kirche) (Hölscher 2001). Außerdem war der Osten überwiegend (91%) protestantisch, während im Westen ein ungefähres Gleichgewicht zwischen Protestanten und Katholiken herrschte (Becker und Woessmann 2009).

Schließlich legte die sozialistische DDR großen Wert darauf, Frauen zur Arbeit zu bewegen. Doch schon vor dem Zweiten Weltkrieg war die weibliche Erwerbsbeteiligung im Osten höher (Wyrwich 2019). Darüber hinaus unterschieden sich Ost und West vor dem Zweiten Weltkrieg deutlich in der Häufigkeit außerehelicher Geburten (Klüsener und Goldstein 2016).

In dem Maße, in dem einige dieser bereits bestehenden Unterschiede während der kommunistischen Periode fortbestanden, könnten sie eine wesentliche Quelle für die Heterogenität zwischen Ost- und Westdeutschen nach der Wiedervereinigung sein.

Zweiter Weltkrieg und Besatzungsmächte wirkten sich in Ost und West unterschiedlich aus

Ost und West waren vom Zweiten Weltkrieg und den Besatzungsmächten unterschiedlich betroffen. Anhand von Daten aus der deutschen Volkszählung, die im Oktober 1946 in allen vier Besatzungszonen gemeinsam durchgeführt wurde, zeigen wir, dass das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in der Sowjetzone deutlich niedriger war. Bei der letzten Volkszählung vor dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1939, hatte es keine derartigen Unterschiede gegeben.

Der stärkere Rückgang des Geschlechterverhältnisses in der Sowjetzone könnte auf eine größere kriegsbedingte männliche Todesrate zurückzuführen sein, spiegelt aber möglicherweise auch geschlechtsspezifische Ungleichgewichte in der sehr frühen Ost-West-Migration wider. Unabhängig von der Ursache könnte der Unterschied zu Unterschieden bei verschiedenen Ergebnissen beigetragen haben, wie z. B. bei der weiblichen Erwerbsbeteiligung, den Geschlechterrollen und sogar den politischen Ansichten.

Der Osten erlitt auch größere Verluste durch die Demontage von Kapitalanlagen und die Zahlung von Reparationen an die Besatzungsmächte in den Jahren 1945-1949. Damit hatte die DDR eine schlechtere Ausgangsposition als die DDR (Sleifer 2006).

Ein selektives Fünftel der Bevölkerung verließ den Osten vor dem Mauerbau

Die vier Besatzungszonen wurden 1945 eingerichtet, die DDR wurde 1949 gegründet. Doch bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 war es möglich, wenn auch zunehmend schwieriger, zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu migrieren. Tatsächlich wanderte bis 1961 etwa jeder Fünfte der ostdeutschen Bevölkerung in den Westen aus. Obwohl es keine Daten gibt, die einen Vergleich zwischen diesen Auswanderern und den im Osten Zurückgebliebenen ermöglichen, zeigen wir, dass sich die Personen, die von Ost nach West abwanderten, von den einheimischen Westdeutschen dadurch unterschieden, dass sie eher Angestellte, Selbstständige und besser Gebildete waren. Vermutlich waren sie auch weniger empfänglich für die kommunistische Doktrin (siehe auch Bauernschuster et al. 2012).

Was manchmal übersehen wird, ist, dass auch etwa eine halbe Million Menschen vor 1961 aus dem Westen in den Osten abgewandert sind. Die DDR-Propaganda beschreibt sie als „nicht einverstanden mit dem kapitalistischen System“. Wir zeigen, dass sechs der 19 Politbüromitglieder der frühen DDR (1949-1961) im heutigen Westdeutschland geboren wurden, darunter der langjährige DDR-Chef Erich Honecker. Zusammengenommen deuten die Belege darauf hin, dass es eine selektive Migration und eine Sortierung nach politischen Präferenzen gab.

Vorsicht bei der Interpretation der Belege für die „Auswirkungen“ des Kommunismus

Ist der deutsche Kontext angesichts dieser Erkenntnisse über die bereits bestehenden Ost-West-Unterschiede, die unterschiedlichen Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs und der anschließenden Besatzung sowie die selektive Ost-West-Migration noch sinnvoll für die Untersuchung der Auswirkungen des Kommunismus? Wir denken, dass die Antwort „Ja“ lautet, da es einige einzigartige Vorteile bietet.

Wir betonen jedoch, dass jede Forschungsfrage eine vernünftige Berücksichtigung der skizzierten Herausforderungen erfordert. Der überzeugendste Beweis für die Wirkung politischer Systeme ergibt sich wahrscheinlich aus der Konvergenz einiger wirtschaftlicher Verhaltensweisen, politischer Präferenzen und des Vertrauens in den Staat nach der Wiedervereinigung. Auch die Erfahrung, im kommunistischen System gelebt zu haben, scheint die Konsummuster dauerhaft verändert zu haben. Darüber hinaus hat das kommunistische System wahrscheinlich die Geschlechterrollen in Bezug auf die weibliche Erwerbsbeteiligung oder die Fertilitätspräferenzen geformt, aber diese beinhalten auch eine starke Erbschaftskomponente, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg sichtbar war.

Die allgemeinere Erkenntnis ist, dass die Entwicklung politischer Systeme kaum jemals exogen ist. Politische Systeme werden zum Beispiel endogen, wenn politische Präferenzen endogen zu früheren Erfahrungen sind (Fuchs-Schündeln und Schündeln 2015). Am deutlichsten wird dieser Gedanke bei Revolutionen, die von Gruppen ausgelöst werden, die mit dem aktuellen System unzufrieden sind. Die Auswirkungen politischer Systeme müssen jedoch auch dann sorgfältig bewertet werden, wenn ein neues politisches System von externen Akteuren aufgezwungen wird: Regimewechsel können bereits bestehende Bedingungen berücksichtigen, und Menschen, die mit dem neuen Regime unzufrieden sind, können sich einfach dafür entscheiden, mit den Füßen abzustimmen und auszuwandern, wobei sie eine Bevölkerung zurücklassen, die einigermaßen gut mit dem neuen Regime übereinstimmt.

Alesina, A, und N. Fuchs-Schündeln (2007), „Goodbye Lenin (or not?): The effect of communism on people“, American Economic Review 97 (4): 1507-28.

Bauernschuster, S, O Falck, R Gold und S Heblich (2012), „The shadows of the socialist past: Lack of self-reliance hindered entrepreneurship“, European Journal of Political Economy 28(4): 485-97.

Becker, S O, L Mergele und L Woessmann (2020), „The separation and reunification of Germany: Rethinking a natural experiment interpretation of the enduring effects of communism“, Journal of Economic Perspectives 34(2), forthcoming.

Becker, S O, and L Woessmann (2009), „Was Weber wrong? A human capital theory of Protestant economic history“, Quarterly Journal of Economics 124(2): 531-96.

Campa, P, and M Serafinelli (2019), „Politico-economic regimes and attitudes: Female workers under state socialism“, Review of Economics and Statistics 101(2): 233-48.

Fritsch, M, and M Wyrwich (2014), „The long persistence of regional levels of entrepreneurship: Germany, 1925-2005“, Regional Studies 48(6): 955-73.

Fuchs-Schündeln, N, und M Schündeln (2015), „On the endogeneity of political preferences: Evidence from individual experience with democracy“, Science 347(6226): 1145-8.

Goldfayn-Frank, O, and J Wohlfart (2020), „Expectation formation in a new environment: Evidence from the German reunification“, Journal of Monetary Economics, forthcoming.

Hölscher, L (2001), Datenatlas zur religiösen Geographie im protestantischen Deutschland: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg, 4 Bände, Berlin: Walter de Gruyter.

Klüsener, S, und J R Goldstein (2016), „A long-standing demographic East-West divide in Germany“, Population, Space and Place 22(1): 5-22.

Laudenbach, C, U Malmendier und A Niessen-Ruenzi (2019), „The long-lasting effects of experiencing communism on attitudes towards financial markets“, working paper.

Lippmann, Q, A Georgieff und C Senik (2020), „Undoing gender with institutions: Lessons from the German division and reunification“, Economic Journal, forthcoming.

Simpser, A, D Slater and J Wittenberg (2018), „Dead but not gone: Contemporary legacies of communism, imperialism, and authoritarianism“, Annual Review of Political Science 21(1): 419-39.

Sleifer, J (2006), „Planning ahead and falling behind: Die ostdeutsche Wirtschaft im Vergleich zu Westdeutschland 1936-2002“, in Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 8, Berlin: Akademie Verlag.

Wyrwich, M (2019), „Historical and current spatial differences in female labour force participation: Evidence from Germany“, Papers in Regional Science 98(1): 211-39.

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