Weisheitszähne scheinen ein biologisches Malheur zu sein. Die Weisheitszähne, die als dritte und letzte Backenzähne wachsen, passen bei vielen Menschen nicht ganz in den Mund, was zu Millionen von Operationen pro Jahr führt. Bei einigen Menschen passen diese „zusätzlichen“ Zähne jedoch problemlos, während andere sie gar nicht haben. Was ist hier die biologische Geschichte?

Lassen Sie uns zunächst feststellen, was wahrscheinlich nicht der Fall ist: Die herkömmliche Weisheit über Weisheitszähne geht davon aus, dass die Evolution diese überflüssigen Beißer beseitigt hat, bis die moderne Medizin diesen Prozess gestoppt hat. Im Laufe der Kindheit brechen die bleibenden Zähne nach und nach aus dem Zahnfleisch hervor, beginnend mit dem ersten Backenzahn und den Schneidezähnen im Alter zwischen 6 und 9 Jahren (Tabelle 5.1). Im frühen Teenageralter sind die meisten Zähne schon da, mit Ausnahme der dritten Backenzähne (M3), die normalerweise zwischen dem 17. und 24. Wenn nicht genügend Platz vorhanden ist, werden die Weisheitszähne impaktiert oder können das Zahnfleisch nicht mehr richtig durchdringen.

Es heißt, dass vor dem chirurgischen Eingriff Menschen mit impaktierten M3-Zähnen zugrunde gingen. Diejenigen, denen die problematischen Zähne fehlten, blühten auf und gaben die Gene für ein schwächeres Gebiss an die nächsten Generationen weiter. Heute überleben dank der Kieferchirurgen Menschen mit impaktierten Zähnen und tragen zum Genpool bei.

Die jahrzehntelange Forschung stellt diese Erklärung für das Überleben der Zahnlosen jedoch in Frage. Viele Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass die Probleme mit den dritten Backenzähnen darauf zurückzuführen sind, dass wir als Kinder weichere Nahrungsmittel essen, was durch die Landwirtschaft und die Industrialisierung möglich wurde.

Hier ist die Hypothese: Im Vergleich zu wilden Ressourcen, die von Jägern und Sammlern verzehrt wurden, sind landwirtschaftliche und verarbeitete Lebensmittel weicher. Man denke an Haferbrei und Pommes frites im Vergleich zu Wildfrüchten und gebratenem Wild. Harte Nahrung in der Kindheit scheint das Kieferwachstum zu stimulieren, so dass die Münder groß genug für drei Sätze Backenzähne werden. Weiches Essen erfordert nicht genug Kautraining, um das Kieferwachstumspotenzial zu maximieren.

Dieser Ansicht nach ist die Überfüllung unseres Mundes kein evolutionäres Problem, sondern ein entwicklungsbedingtes. Das Schicksal der Weisheitszähne wird nicht ausschließlich von den Genen bestimmt. Vielmehr haben die Ernährung und die Kaugewohnheiten in der Kindheit wahrscheinlich den größten Einfluss.

Die Vorgeschichte der Backenzähne

Wie alle Menschenaffen hatten auch die menschlichen Vorfahren eine Reihe von 32 Zähnen: zwei Schneidezähne, einen Eckzahn, zwei Prämolaren und drei Molaren, die sich auf beiden Seiten unseres Ober- und Unterkiefers wiederfinden. Heute kann der Mensch die letzten hinteren Backenzähne entwickeln, muss es aber nicht.

Weltweit schätzt man, dass bei etwa 22 Prozent der Menschen ein oder mehrere Weisheitszähne fehlen und bei 24 Prozent durchgebrochen sind. Die Kehrseite der Medaille: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung bildet normale, funktionierende Weisheitszähne. Wann also wurden die Weisheitszähne in der menschlichen Evolution zu Jokerzähnen?

Ein durchgebrochener Weisheitszahn. (Credit: Renton et al./British Journal of General Practice)

Vor einigen Millionen Jahren hatten unsere homininen Vorfahren riesige Backenzähne. Australopith-Arten (vor ca. 2 bis 4 Millionen Jahren), wie das Lucy-Fossil, hatten Backenzähne, deren Kauflächen etwa doppelt so groß waren wie die unseren – und das, obwohl diese Kreaturen nur drei bis vier Fuß groß waren und ihr Schädel weniger als ein Drittel des Schädelvolumens des Homo sapiens hatte. Seit der Ära der Australopithen hat die Größe der Zähne in der menschlichen Abstammung abgenommen. Beim Homo erectus vor etwa 2 Millionen Jahren war die Oberfläche der Backenzähne etwa 1,5 mal so groß wie heute.

Weich werden

Die Veränderungen an unseren Zähnen im Laufe der menschlichen Entwicklung scheinen mit den Fortschritten in der Ernährung und den Techniken der Nahrungszubereitung übereinzustimmen. Erstens: Zur Zeit des Homo erectus haben Steinwerkzeuge zum Stampfen und Kochen die wilde Nahrung aufgeweicht, so dass das Kauen einfacher wurde – und die Mega-Kauwerkzeuge weniger kritisch.

Vor etwa 12.000 Jahren begannen die Menschen mit dem Ackerbau zu experimentieren, und dieser Lebensstil setzte sich schließlich in den meisten Gesellschaften durch. Domestizierte Produkte wie Weizenmehl und Kuhmilch sorgen für eine viel mildere Ernährung als Wildnahrung.

Und schließlich hat die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion unsere Mahlzeiten wirklich weicher gemacht. In den westlichen Ländern schlürfen die Menschen Proteinshakes, verschlingen schwammige Big Macs und knabbern Gummisnacks. Das ist weit entfernt von dem Kudu-Fleisch und den Mongongo-Nüssen, die manche Jäger heute noch essen.

Nutze sie oder verliere sie

Der Gedanke ist also, dass verarbeitete und/oder landwirtschaftliche Ernährung die Belastung unseres Kiefers reduziert, die notwendig ist, um das volle Wachstum während der Jugendzeit zu erreichen. Zu dem Zeitpunkt, an dem wir das Erwachsenenalter erreichen, ist möglicherweise nicht mehr genug Platz für unsere letzten Backenzähne vorhanden.

Diese Hypothese wird durch Vergleiche von Kiefergröße und M3-Bildung in verschiedenen Gesellschaften gestützt. In einer Arbeit aus dem Jahr 2011 wurden die Schädel von sechs Bauern- und fünf Futtersammlergruppen gemessen, die in Museen aufbewahrt werden. Die Bauern, die mit weicherer Nahrung aufgewachsen waren, hatten durchweg kürzere Kiefer, die weniger Platz für die Zahnbildung geboten hätten.

Dieses Ergebnis stimmt mit der Vorstellung überein, dass die Ernährung die Kiefergröße beeinflusst. Unter Verwendung fortschrittlicherer statistischer Methoden an einer größeren Anzahl von Schädeln kamen Anthropologen 2017 zu ähnlichen Schlussfolgerungen: Sie stellten „bescheidene“, aber verlässliche Unterschiede zwischen Futtersammlern und Landwirten fest, insbesondere wenn letztere Gruppe Milchprodukte zu sich nahm. Andere Forscher haben diesen Trend im Laufe der Zeit nachgewiesen, allerdings mit nur ein paar Dutzend Skelettproben.

Vergleich von Unterkiefern aus südafrikanischen rechten Unterkiefergebissen von (a) A. africanus, (b) P. robustus, (c) A. sediba, (d) H. erectus und (e) H. sapiens. (Credit: Irish et al./American Journal of Physical Anthropology)

Auch der Zugang zu verarbeiteten Lebensmitteln ist ein wichtiger Prädiktor für Weisheitszahnprobleme in verschiedenen Gesellschaften. Eine Studie untersuchte zum Beispiel das Aufbrechen des dritten Backenzahns bei 900 ländlichen und städtischen Menschen in Südindien. Bei etwa 15 Prozent der Teilnehmer auf dem Land traten Impaktierungen auf, während es bei den Stadtbewohnern fast 30 Prozent waren. In Nigeria wurde in einer anderen Studie festgestellt, dass dritte Backenzähne in der Stadt siebenmal häufiger betroffen waren als auf dem Land, und zwar bei 2 400 Teilnehmern. Eine dritte Reihe von Beweisen stammt aus Experimenten mit Tieren, die mit weicher oder harter Nahrung aufgezogen wurden, oder manchmal die gleiche Nahrung entweder gekocht (weich) oder roh (hart).

Insgesamt wurde festgestellt, dass weiche Nahrung bei Ratten, Totenkopfäffchen, Pavianen, Miniaturschweinen und Felsenhyraxen, einem etwa 10 Pfund schweren Tier, das einem plumpen Nagetier ähnelt, aber enger mit Elefanten verwandt ist, zu Problemen im Mundbereich wie schief stehenden Zähnen, kleineren Gesichtern und unterentwickelten Kiefern führt.

Diese Studien erklären jedoch nicht, warum manche Menschen keine Weisheitszähne haben. Das völlige Verschwinden der dritten Backenzähne in einigen Fällen könnte in der Tat ein Beispiel für die jüngste Evolution sein, bei der Menschen ohne Weisheitszähne keine Probleme mit der Zahnbelegung hatten und auch nicht im Nachteil beim Kauen waren, weil ihre Nahrung weicher geworden war.

Auf der Grundlage der oben genannten Studien ist außerdem unklar, welche Veränderungen in der Ernährung – Werkzeuggebrauch, Kochen, Domestizierung oder Industrialisierung – unsere Weisheitszahnprobleme ausgelöst haben. Aber ihre kumulative Wirkung ist sicher: Die Menschen essen heute wesentlich weichere Lebensmittel als unsere Vorfahren, und unsere Münder wachsen nicht mehr in vollem Umfang.

Daher empfehlen viele Zahnwissenschaftler, mehr knackige, harte Lebensmittel auf die Teller Ihrer Kinder zu bringen. Ein paar zusätzliche rohe Früchte, Gemüse und Nüsse könnten spätere Weisheitszahnextraktionen verhindern. Die Anthropologin Julia Boughner schrieb für The Conversation: „Die Wissenschaft kann zwar noch nicht mit Sicherheit sagen, dass es funktioniert, aber es kann wahrscheinlich nicht schaden.“

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