„Das Sensorium ist ein faszinierender Fokus für die Kulturwissenschaften“, sagt Walter J. Ong. Als Antwort auf die Tendenz, das Visuelle in den Sozialwissenschaften zu priorisieren und zu essentialisieren, argumentiert Zygmunt Bauman: „Die Moderne hat den Gerüchen den Krieg erklärt. Düfte hatten keinen Platz in dem glänzenden Tempel der perfekten Ordnung, den die Moderne errichten wollte“. Bauman sieht im Geruch die Antithese zur Moderne. Ähnlich argumentieren Constance Classen, David Howes und Anthony Synnott in ihrem Buch Aroma: The Cultural History of Smell, dass das Visuelle als der überlegene und zuverlässigste der fünf Sinne ein kulturelles Phänomen ist, das eine kritische Analyse verdient. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde der Geruchssinn abgewertet, weil die Philosophen und Wissenschaftler dieser Zeit, so Classen, Howes und Synnott, entschieden, dass der Sehsinn der Sinn der Vernunft und der Zivilisation sei, während der Geruchssinn der Sinn des Wahnsinns und der Barbarei sei. Der Geruchssinn wird marginalisiert, weil er als Bedrohung für den rationalen und objektiven Teil der Moderne empfunden wird. Mit anderen Worten: Die westliche Tradition wertet den Geschmack (und den Geruch) als einen niederen Sinn ab, der kein vernunftgeleitetes Urteil zulässt und die grundlegende westliche philosophische Trennung zwischen „subjektiv“ und „objektiv“ verwischt.
Während das moderne Denken schon seit geraumer Zeit in Frage gestellt wird, ist die Frage, wie Geschmack und Geruch analysiert und kommentiert werden können, mit anderen Worten, wie sie in Wissen umgewandelt werden können, noch immer ungeklärt. Erst in den letzten Jahrzehnten haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Sozial- und Geisteswissenschaften mit den Sinnen und der oben genannten Frage auseinandergesetzt. Im Jahr 2018 veröffentlichte Bloomsbury eine sechsbändige Reihe mit dem Titel A Cultural History of Senses, herausgegeben von Constance Classen, und eine vierbändige Reihe mit dem Titel Senses and Sensations, herausgegeben von David Howes . Während die erstgenannte Reihe einen historischen Ansatz zur Erforschung der Sinne von der Antike bis zur Moderne bietet, untersucht die zweite Reihe die Art und Weise, wie die Sinne in verschiedenen Disziplinen von der Geographie, Anthropologie, Geschichte, Soziologie und Kunst bis hin zur Biologie, Psychologie und Neurowissenschaft erforscht werden.
Auf der anderen Seite wurden akademische Studien, die sich mit der Überschneidung von Essen und Sinnen befassen, von David Sutton umfassend erforscht. Sutton zufolge gibt es „drei potenzielle Richtungen für weitere ethnografische Erkundungen und Analysen“. In der ersten werden die sensorischen Qualitäten von Lebensmitteln als verkörperte Formen der sozialen Unterscheidung betrachtet. Hier geht es um hegemoniale sensorische Regime. So bilden beispielsweise Geschmack und Geruch Grenzen zwischen Gruppen, dem Westen und Einwanderern, die einen Ausgangspunkt für Überlegungen zu Lebensmitteln und interkulturellen Studien bilden. Paul Rodaway zufolge sind die Sinne geografisch, da sie zur Orientierung des Menschen im Raum und zu seinem Bewusstsein für räumliche Beziehungen beitragen. Daher spielen die Sinne eine entscheidende Rolle beim Aufbau kultureller Grenzen. John Urry vertritt die Auffassung, dass Gerüche die Grenzen von Geschlecht, Klasse, Ethnizität, Rasse und Nationalität bilden. Unterschiedliche Gerüche werden verschiedenen sozialen Klassen und ethnischen Gruppen im Westen zugeordnet. Sandra Soo-Jin Lee erforscht die Beziehung zwischen Kimchee und koreanischer Identität. Lee zufolge spielte das koreanische Essen eine entscheidende Rolle bei der Ausübung der koreanischen Identität in Japan“, und es besteht eine enge Verbindung zwischen dem Koreaner-Sein und der Fähigkeit, Kimchee zu essen. Cho, ein 72-jähriger Koreaner, entschuldigt sich dafür, dass er keinen Kimchee essen kann, und meint, dass sich sein Geschmackssinn verändert hat, weil er so lange in Japan gelebt hat. Das Versagen des Körpergedächtnisses bei der Ausübung einer wichtigen kulturellen Praxis beeinflusst also die Identitätsentwicklung. Lee zufolge „kann die Wahl des Essens als performativ und integraler Bestandteil der Identitätsvermittlung verstanden werden“. Nicht in der Lage zu sein, Kimchee zu essen, ist für Koreaner ein Zeichen von Schwäche. Der Körper wird darauf trainiert, regelmäßig Kimchee zu essen, um nicht in eine Rhetorik, moralisches Versagen und kulturelle Inauthentizität zu verfallen. Der Verzehr scharfer koreanischer Speisen spiegelt also die Schwierigkeiten der Koreaner bei der Aushandlung ihrer Identität in der japanischen Gesellschaft wider. Lee argumentiert zu Recht, dass das Körpergedächtnis hilfreich ist, um die Kämpfe um die Identität zu verstehen, und es „bleibt eine Dialektik zwischen objektiviertem Wissen und existentieller Bedeutung im Kampf um die Identität“. Hier wirken Geschmack und Geruch als existentielle und körperliche Leistung bei der Konstruktion von Identität, wo objektives Wissen keinen Nutzen hat.
Die zweite versteht oder analysiert die wichtigsten Geschmacksprinzipien und -gegensätze der Gesellschaft durch die Kombination verschiedener Sinne, die vielleicht nicht die uns vertrauten sind, wie salzig, süß, sauer und bitter. Synästhetische Beiträge und Intersensorik sind die Konzepte, die diskutiert werden. So betrachteten die Alten (in Anlehnung an Aristoteles) den Geschmack als eine Form des Tastsinns; und in der Neuzeit ist der Geschmack eher mit dem Geruch als mit dem Tastsinn verbunden. Und nach neuesten wissenschaftlichen Schätzungen gibt es mindestens zehn Sinne und möglicherweise sogar dreiunddreißig. Die Sinne können nicht voneinander getrennt werden. So können zum Beispiel Geräusche oder Gerüche Farbempfindungen hervorrufen.
Die dritte Richtung sieht den Geschmack als zentral für die Erforschung anderer Aspekte der Kultur. Hier ist es vielleicht entscheidend, die Veränderungen in der Weltgeschichte zu untersuchen, indem man sich auf die kulturellen Veränderungen konzentriert. Sidney Mintz‘ berühmtes Buch Sweetness and Power vermittelt uns ein umfassendes Verständnis der politischen Ökonomie des Zuckers in der Weltgeschichte. Mintz untersucht Zucker aus einer geografischen/anthropologischen und historischen Perspektive. Er befasst sich mit den Machtverhältnissen zwischen Zuckerproduzenten und -konsumenten. Er untersucht, wie die Briten Zuckerrohr in der Karibik und auf Jamaika anpflanzten. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert wurden 12 Millionen afrikanische Sklaven in die Karibik und nach Jamaika gebracht, um auf den Feldern zu arbeiten. Von dort aus wurde der Zucker nach Europa transportiert, wo er als Genussmittel konsumiert wurde. In Europa galt Zucker von 1400 bis 1650 als Luxusgut, und erst nach den 1850er Jahren wurde Zucker zu einem Produkt des Massenkonsums. Mintz zufolge war „Zucker … eine der größten demografischen Kräfte der Weltgeschichte“, die Millionen von Afrikanern nach Amerika brachte.
Diese drei möglichen Richtungen für weitere ethnografische Analysen können uns helfen, uns den Sinnen auf vielfältige Weise zu nähern, indem wir die Machtverhältnisse in hegemonialen Sinnesregimen, in der Intersensorik oder in der politischen Ökonomie berücksichtigen. Das Studium der Sinne eröffnet daher einen Weg zum Verständnis von Macht, Politik und globalen/lokalen Transformationen. In dieser Studie untersuche ich jedoch die Art und Weise, in der die Sinne eine Rolle bei der Überwindung kultureller Grenzen spielen. Ich versuche zu verstehen, wie hegemoniale Sinnesregime zerstört werden können, wenn die Macht der Sinne auf persönlicher und zwischenmenschlicher Ebene anerkannt wird. Dafür brauchen wir einen ethnografischen Ansatz, der unseren eigenen Körper als Wissensquelle nutzt.
Sarah Pink gibt uns praktische Leitlinien für die Erforschung der Sinne mit einem selbstreflexiven Blickwinkel. Die eigene Erfahrung des Ethnographen oder das Erleben des Körpers ist dabei entscheidend. Es geht darum, den Körper als Forschungsinstrument zu nutzen. Die Sinne sind schließlich nicht statisch, sondern sie verändern sich ständig, vor allem in Bezug auf die menschliche Wahrnehmung und Praxis. Und die eigene sensorische Erfahrung des Ethnographen prägt unweigerlich die Produktion von Wissen.
Pink schlägt zwei methodologische Mittel vor, die bei der Durchführung der Forschung zu beachten sind. Das eine ist die sensorische Subjektivität, das heißt, wir müssen unsere eigene sensorische Subjektivität sowohl aus kultureller als auch aus persönlicher Perspektive untersuchen. Wir können mit einer Art Auto-Ethnographie beginnen und uns unserer eigenen Rolle bei der Produktion von ethnographischem Wissen bewusst werden. Reflexivität ist ein wichtiger Bestandteil der Ethnografie, in der die Binarität von Objektivität und Subjektivität nicht mehr gilt. Vor allem feministische Geographen und Anthropologen haben sich die Reflexivität in ihrer Methodik zu eigen gemacht. Wie Gillian Rose behauptet, „machen sich Forscher, Erforschte und Forschung gegenseitig zu ‚interaktiven Texten'“. In dieser Hinsicht sollte der Körper als Instrument in der Forschung fungieren, da der Forschungsprozess durch „körperliche Reaktionen, Gesten, physische Präsenz, den Geruch von Körpern, den Tonfall der Stimme“ beeinflusst wird. Die Geografie des Ekels beispielsweise ist eine unaussprechliche Geografie, und doch ist sie sehr real: „Unsere Gefühle brachten uns dazu, unser eigenes Schweigen und unsere Konstruktionen des Andersseins zu hinterfragen.“ Forschung ist also ein verkörperter Prozess, und die Verwendung unseres Körpers als Forschungsinstrument ist ein wichtiger Bestandteil der Ethnographie.
Das zweite Konzept ist die sensorische Intersubjektivität. Pink betrachtet die Bedeutung der „intersubjektiven Beziehungen zu anderen und unserer materiellen/sensorischen Umgebung“. Sie argumentiert, dass unsere sozialen Interaktionen nicht auf verbaler Kommunikation oder visuellen Eindrücken beruhen, sondern dass sie multisensorisch und vollständig verkörpert sind. Daher müssen wir als Forscher die Menschen nicht als Objekte von Experimenten betrachten, sondern als Teilnehmer des Projekts. Dies beruht auf einem kollaborativen und partizipativen Ansatz. In Anlehnung an Pink und mit Hilfe der Ansätze der sensorischen Subjektivität und der Intersubjektivität können unsere Körper als Forschungsinstrument eingesetzt werden, wenn wir uns mit Geschmack und Geruch beschäftigen.
Hegemoniale sensorische Regime und die Beziehung zwischen Sinnen und sozialer Unterscheidung sollten weiter erforscht werden. Genau hier sollten sich die Kulturwissenschaften einmischen. Wenn wir die Tatsache akzeptieren, dass Geschmacks- und Geruchssinne Grenzen der Ethnizität, Klasse und Nationalität bilden und dass verschiedene Gerüche und Geschmäcker verschiedenen sozialen Klassen und ethnischen Gruppen zugeordnet werden, sollten wir die potenzielle Macht von Lebensmitteln in interkulturellen Studien berücksichtigen, auch wenn dieses Potenzial immer kontingent und kontextabhängig ist. Abbildung 1 zeigt die für die Untersuchung ethnischer Lebensmittel erforderlichen Forschungskonzepte.